Kirchturmsanierung kostet fast eine Million Euro

16.05.2024

Arbeiten am Erbacher Kirchturm laufen auf Hochtouren und sollen im Herbst abgeschlossen sein

Stabilisierungsmassnahmen

Erbach. (sf) Es sieht aus, als sei Verpackungskünstler Christo am Werk gewesen, aber es hat einen ernsten Hintergrund: Der Kirchturm der Erbacher Sankt Markus Kirche ist marode und muss jetzt dringend umfassend saniert werden. Die Maßnahmen sollen nach der Kostenberechnung vom Dezember 2022 rund 925.000 Euro kosten. Davon zahlt das Bistum Limburg 90 Prozent und die Kirchengemeinde trägt 10 Prozent, wie Marcus Zerbe, Mitglied des Verwaltungsrates der Katholischen Kirchengemeinde St. Peter und Paul Rheingau, mitteilt. Angesichts der aktuellen Preiserhöhungen und einiger unvorhergesehener Probleme dürfte es schwer werden, diesen Rahmen einzuhalten. Hocherfreut ist man, dass vom Landesamt für Denkmalpflege Hessen ein Zuschuss in Höhe von 75.000 Euro gewährt wurde.

Begonnen hatten die Arbeiten schon im August 2023, allerdings gab es wegen des schlechten Zustands des Turmes Verzögerungen: es mussten zunächst Stabilisierungsmaßnahmen vorgenommen werden, um den Gerüstbau überhaupt erst zu ermöglichen, womit man nicht gerechnet hatte. Deshalb werden die Renovierungsmaßnahmen nicht wie ursprünglich geplant bis Juli abgeschlossen sein, sondern voraussichtlich bis Herbst 2024 dauern.

Hallenkirche

Schon 1060 wurde in Erbach eine Kapelle mit eigenem Tauf- und Begräbnisrecht nachgewiesen, diese gehörte bis 1250 zu dem Kirchspiel Eltville. Erst dann wurde Erbach eine eigenständige Pfarrei und die Kapelle zur Pfarrkirche erhoben. Seit 1258 gilt der Heilige Markus als Schutzpatron der Pfarrkirche. Ablassurkunden von 1281, 1304 und 1324 deuten auf eine bauliche Erweiterung der ursprünglichen Kapelle, die zu einer Hallenkirche umgebaut wurde. Der Umbau zu einer dreischiffigen niedrigen Hallenkirche von drei Jochen Länge mit einem kleinen Chor erfolgte in den Jahren 1477 bis 1506. Der Bau begann offenbar mit dem Westturm, in dessen Untergeschoss sich die Jahreszahl 1477 findet, während das dritte Joch des südlichen Seitenschiffes die Jahreszahl 1506 aufweist. Der Westturm als ältester erhalten gebliebener Teil der Kirche ist auf quadratischem Grundriss im Stil der Spätgotik ausgeführt. An der Westseite des Turms und in der Längsachse des Kirchenschiffs führt ein spitzbogiges Portal zu einer gepflasterten Steilrampe zwischen der Hauptstraße und dem Friedhof. Sandsteinfarbene Kaffgesimse unterteilen den weißen Putz der Turmfassade in drei Geschosse, die in 28,50 Meter Höhe durch eine Maßwerk-Brüstung abgeschlossen werden. Gekrönt wird das Mauerwerk von einem spitzen oktogonalen und schiefergedeckten Turmhelm, der in 56 Meter Höhe einen Turmknopf trägt. Den Abschluss bildet ein Kreuz. Die quadratische Grundlinie des Turmhelms ist über der Mauerkrone nach innen zurückgesetzt, bildet mit senkrechten Wänden ein Basisgeschoss und bietet so Platz für einen durch die Brüstung gesicherten Umgang. Über diesem Basisgeschoss steht auf jeder Seite eine Spitzgaube, die jeweils das Zifferblatt der Turmuhr aufnimmt, und jede Ecke ziert ein spitzbehelmtes Wichhäuschen. Als weiteren Dachschmuck trägt der Turmhelm rundum verteilt vier spitzbehelmte kleine Dachöffnungen. Von 1721 bis 1723 wurde die Kirche verlängert, indem zwei Joche angefügt wurden. Von 1727 bis 1728 wurde ein großer Chorraum angebaut. Die Gewölbe des Mittelschiffes wurden um sechs Meter erhöht, somit erweckt die Kirche den Eindruck einer Basilika. Das Gebäude stellt ein gutes Beispiel für das Weiterbestehen der Nachgotik im Spätbarock dar.

Gartenhaus als Spitze

Die heutige Turmspitze gibt es erst seit 1910 in dieser Form: ursprünglich hatte es auch anfangs eine Turmspitze gegeben, die dann aber marode wurde und im Rahmen einer Sanierungsmaßnahme Anfang des 19. Jahrhunderts abgetragen wurde. Als Ersatz wurde eine barocke Haube aufgesetzt, von den Erbachern spöttisch „Gartenhaus“ genannt, die an die Zwiebeltürme bayrischer Gotteshäuser erinnern sollte. Diese Ausführung wählte man damals aus Kostengründen und die „Hütte“ hielt dementsprechend auch nicht lange. Danach bekam der Erbacher Kirchturm wieder die neugotische Spitze, die jetzt allerdings renoviert werden muss.

Auftraggeber und Bauherr ist die Katholische Kirchengemeinde St. Peter und Paul Rheingau, die auch Eigentümerin des Kirchturms ist. Als Architekt konnte man den Hallgartener Hermann Alt gewinnen, der über fundierte, langjährige gute Kenntnisse im Bereich der Renovierung und Restaurierung von historischen Kirchengebäuden verfügt. Viele Kirchen im ganzen Rheingau und aktuell auch in Wiesbaden hat er in den letzten Jahren schon instandgesetzt, er hat zum Beispiel auch die damals großangelegte Sanierung der Kirchtürme des Rheingauer Dom in Geisenheim geleitet.

Dach- und Fassadeninstandsetzung

„Die Maßnahme am Kirchturm der katholischen Kirche St. Markus Erbach sieht eine Dach- und Fassadeninstandsetzung vor. Bereits im Jahr 2020 wurde eine technische Stellungnahme zur Dacheindeckung und Konstruktion des Turmhelms erstellt, wobei man den mangelhaften Zustand der Dacheindeckung des Kirchturms feststellte. Die Ausführungsplanung und Ausschreibungen der Maßnahme wurden schon 2022 durchgeführt, der Baubeginn erfolgte am 15. August letzten Jahres mit der Baustelleneinrichtung und dem Gerüstbau“, so Architekt Alt.

Im Einzelnen nennt er als notwendige Arbeiten den Austausch fehlender, loser oder nagelfauler Schieferdecksteine und die zu geringe Höhen- und Seitenüberdeckung der Schieferdeckung. Auch defekte und fehlerhafte Anschlüsse müssen behoben werden. „Durch Fäulnis wurde auch die Dachschalung und Holzkonstruktion geschädigt. Bereits im Jahr 2020 erfolgte eine dringend notwendige Sofortmaßnahme im Hinblick auf eine Befahrung und Reparatur der Dacheindeckung, um weitere Wassereinbrüche und voranschreitende Schäden an der Holzkonstruktion zu verhindern. Im Juli 2022 wurde erneut eine Befahrung und Begutachtung vorgenommen, hier lag der Schwerpunkt neben den Reparaturen der Dacheindeckung auch bei der Begutachtung der Fassade beziehungsweise des Turmschaftes seitens des zuständigen Restaurators Stefan Klöckner aus Biebergemünd bei Kassel“, so Hermann Alt.

Glocken ruhen

Neben den technischen Mängeln hatte man mittlerweile allerdings auch noch Schadstoffbelastungen im Inneren des Turmes ermittelt. Die in der Vergangenheit eingesetzten giftigen Holzschutzmittel ließen sich im Staub noch nachweisen, der zum Schutz der Arbeiter abgesaugt werden musste. Die Schadstoffbelastung wurde vom Ingenieurbüro ISM untersucht und entsprechend dokumentiert. Auch dass der Turmhelm statisch erst ertüchtigt werden musste, um ihn sicher einrüsten zu können, war vor Beginn der Arbeiten nicht klar gewesen. „Das Gerüst konnte daher im ersten Arbeitsgang nur bis zur Balustradenebene erstellt werden!“, erzählt der Architekt. Die Statikarbeiten konnten aber erfolgreich beendet werden und der Turm wurde dann komplett eingerüstet: „Am 5. Oktober 2023 begann die Firma Gößel Zimmerer mit der statischen Ertüchtigung des Turmhelmes. Diese Arbeiten waren einen Monat später dann abgeschlossen, so dass die statischen Voraussetzungen zum weiteren Aufbau des Gerüstes geschaffen waren!“. Nach Fertigstellung des Gerüstes durch die Firma Aulbach aus Aschaffenburg wurden dann zunächst die Dekontaminierungsarbeiten im Turmhelm durchgeführt. Mittlerweile haben die eigentlichen Arbeiten der Dachsanierung längst begonnen. Mit einem Baufahrstuhl können Arbeiter und Materialien bis zur Balustrade gebracht werden. Von dort aus bis zur Turmspitze führen Treppen am Baugerüst nach oben. Die Baustromversorgung hat die Firma Elektro Kreis aus Johannisberg übernommen. Wenn man nach oben fährt, fällt einem zuerst auf, dass die Fenster zu den Glocken mit Sperrholz vernagelt wurden. „Die Schallläden wurden durch die Firma Höckel aus Flörsheim zur Überarbeitung ausgebaut und in die Werkstatt verbracht, die Luken haben wir hier bauseits provisorisch verschlossen und auch die Glocken ruhen, bis die Bauarbeiten abgeschlossen sind!“, erklärt Architekt Alt.

Barrierefreier Zugang

Je höher der Bauaufzug fährt, desto lauter erklingt das Hämmern der Dachdecker: nach der Fertigstellung des Gerüstes im Januar und den Dekontaminierungsarbeiten im Turmhelm hat die Dachdeckerfirma Gottlieb aus Hohenstein-Holzhausen mit dem Abriss und der anschließenden Neuverschalung und Neueindeckung der Dachflächen begonnen. „Gedeckt wird das Turmdach mit Naturschiefer in Altdeutscher Deckart. Zeitgleich werden durch den Zimmerer Gößel aus Arbergen die Schäden an der Dachtragekonstruktion instandgesetzt“, erläutert Alt die gerade laufenden Arbeiten.

Laut Plan hätten diese eigentlich schon längst fertig sein sollen, denn Mitte März war geplant, mit den Putz-Arbeiten an der Fassade zu beginnen, die die Firma Haas Baudekoration aus Martinsthal vornimmt. Hierbei werden schadhafte Stellen saniert und ein neuer Anstrich in den gewohnten Farben erfolgen. Doch die Maßnahmen haben sich wegen der unvorhergesehenen Probleme mit der Statik und der Schadstoffbelastung, aber auch aufgrund des Arbeitsumfanges und der Witterung des äußerst windigen und nassen Frühjahrs verschoben und werden deshalb voraussichtlich bis zum frühen Herbst dauern. Auch zahlreiche Rheingauer Firmen sind an den Sanierungsarbeiten beteiligt, wie Tischler Flöck aus Walluf oder der Wallufer Schädlingsbekämpfer Krahner, der für die Taubenvergrämung verantwortlich ist.
Nach Abschluss der Arbeiten werden die Erbacher dann auch wieder das Geläut der Glocken vernehmen können und mit einem Blick auf die ebenfalls aufgearbeitete Turmuhr sehen, was die Stunde geschlagen hat. Außerdem folgt man auch einem besonderen Wunsch der Gläubigen und wird einen barrierefreien Zugang am hinteren Eingang der Kirche einrichten.

Ein Bericht von Sabine Fladung vom 16.05.2024.

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