Totengräber, Gärtner und Blumen, Zeltlager und der Nepomuk

02.03.2019

Erbacher PZ-Sitzung auf ganz hohem Niveau begeisterte mit vielen jungen Fastnachtern über 400 Narrenfreunde

Erbach. (sf) Vier ziemlich schräge neue Mitarbeiter hat die Stadt Eltville seit dem letzten Wochenende: die vier närrischen „Totengräber“ Tobias Gahntz, Martin Peters und Michael und Stefan Moos von den Kisselbachstelzen haben das düstere Gewerbe fastnachtsfit gemacht. Mit Schaufel, Gummistiefel und Badeschlappen eröffneten die vier städtischen „Seegräber-Mitarbeiter“ jetzt am Alten Sportplatz einen neuen Bestattungszweig: „Seebestattung“. Da sich aus Angst vor Hochwasser die Grundstücke der Stadt Eltville für 600 Euro pro Quadratmeter nicht so gut verkaufen, kann man jetzt bei den Totengräbern ein Stück für 1200 Euro erwerben: „2 Quadratmeter für besonders nasse Beisetzungen“. Mit ihren närrischen Ideen rund um das Bestatterwesen trieben die vier Kisselbachstelzen am vergangenen Samstag und Sonntag den Erbacher Narren im Pzett die Lachtränen in die Augen: „Also ehrlich, ich wüsst jo nit, ob ich in so en Seebestattungsloch geschmisse wern wollt. So kalt und nass. Des wär aach nit gut für die Knoche. Und wenn noch Wind dezukäm, gäb’s Gischt. Ich bin mir gar nit sicher, ob im Zeitalter der Digitalisierung in Zukunft überhaupt noch gestorbe wird. Ich denk da wird mer vielleicht eher runnergefahrn. Musst dich abber erst abmelde!“ Die vier schrägen Narren krönten die Sitzung mit ihrer Glanznummer voller Kokolores und fulminanter A-Cappella-Gesänge. Und ganz klar, dass dieser Höhepunkt zum Abschluss einer fünfstündigen Fastnachtssitzung noch einmal alle Lachmuskeln des Publikums forderte. Nicht nur Bürgermeister Kunkel lachte mit seiner Frau Tränen.
400 Gäste erlebten am Wochenende im Erbacher „Pzett“ wieder Rheingauer Fastnacht auf ganz hohem Niveau, jeder einzelne Programmpunkt war ein Kracher für sich. Die Erbacher Fastnachter zündeten im zweimal komplett ausverkauften Saal ein närrisches Feuerwerk der Superlative, ganz junge Fastnachter standen hier neben Ur-Narren in der Bütt, herrlich schräge Gesangseinlagen und wunderbar komische Gesangsauftritte konnte Sitzungspräsident Werner Fladung präsentieren. Gewohnt gut gelaunt, mit Witz und Humor präsentierte er das närrische Geschehen und machte schon in seiner Begrüßung klar: „Was ihr alles sehn tut heut, entsteht aus Spaß nur an de Freud, bei uns, do wird ko Geld bezahlt, mit große Orde nit geprahlt, bei uns gibt’s, wie könnts anners sei, für jeden nur en Fläschje Wei, bei uns, do kimmt die Fassenacht ,von Herzen und ist hausgemacht.“

Eröffnet hatte den Reigen in der Bütt wieder mal der brillante Erbacher Protokoller Martin Görner. Dem jungen Mann war es wieder bestens gelungen, mit spitzer Feder alles Närrische im vergangenen Jahr zu notieren. In seinem Protokoll zeichnete sich Görner wieder mal mit brillanten Wortwitz aus und legte in bester Till Eulenspiegelmanier mit Humor den Finger stets genau in die Wunde, sei es US-Präsident Trump oder die hessische Landtagswahl. Und auch das Erbacher Ortsgeschehen kam nicht zu kurz. Görner hatte wirklich alles köstlich närrisch aufbereitet, was die Welt so bewegt und vor allem auch seine schon legendäre Rubrik: „Kurz und knapp“ war wieder ein Hit: „Musst Du künftig ohne Helene reisen, dann heißt du Florian Silbereisen“, „Verhandelst du nix Optimales, dann heißt du wohl Andrea Nahles und findet’s Du die EU nit schee, dann heißt Du wohl Theresa May“.

Zum ersten Mal auf der Bühne und gleich ein Hit war die Nachwuchsriege der Kisselbachstelzen: Viktoria und Katharina Moos, Carla und Anne Kirchner, Sophie und Christopher Moos und Bruno Gahntz haben ganz klar das Narren-Gen ihrer Väter geerbt und trieben ziemlich närrischen Unfug auf der Bühne als „Stezljer“. Dabei hatten sie den gleichen Wortwitz wie die großen Vorbilder: „Komme zwaa Zwerge in de „Engel“ und sage: „Zwaa Halbe“. Sacht die Vera: „Des seh ich, un was wollt ihr trinken?“. Und auch musikalisch hatten die Kisselbachstelzjer es drauf und verkündeten a la Udo Jürgens: „Ich war noch nie in Kidderich, ich war noch nie in Hattenhum, in Eltfeld und da will ich auch gar nicht hin“.

Riesenbeifall gab es auch für den Bänkelsänger Herrmann Fladung, der in diesem Jahr wieder lustige Lieder aus der Mainzer Fastnacht wie „Do wackelt de Dom“ auf die Rheingauer Fastnacht umgedichtet hatte und mit Superlaune zum Besten gab und sich vor allem auch bei seinem zweiten Auftritt später übertraf: als einer der legendären Couplet-Sänger erzählte er musikalisch kleine erotische Abenteuer-Anekdoten. Hermann Fladungs lustige Lieder brachten die Stimmung im Saal auch zum Kochen und bei der Zugabe, dem Lied von dem Hund Karl, der mit einer Wurst durchgebrannt war und dann selbst Opfer des chinesischen Nachbarn wurde, machte der ganze Saal fröhlich mit.

Ganz neu war diesmal der gemeinsame Auftritt der „PZ-Strolche“ gemeinsam mit den großen Vorbildern der PZ-Cats, ihren Eltern. Damit standen die jüngsten Akteure des Abends als närrische Gärtner zusammen mit den Erwachsenen, die als übrig gebliebene Blumen des im vergangenen Jahr geschlossenen Blumenladens Rohrmann keine Abnehmer gefunden hatten, auf der Bühne. Im Schlagabtausch „Klein gegen Groß“ sahen die Eltern der „Strolche“ auch echt „alt aus: „Ihr seid doch bestenfalls Gestrüpp! Lebt des übberhaupt noch?“ – „Also horsch emo! Mir sin echte Erbacher Prachtblumme. Gut, vielleicht sin mer nit mer schnittfrisch, aber mer stehn noch immer im Saft“ – „Inkontinent sin se ach noch“. Ganz klar, dass bei diesem Schlagabtausch kein Auge trocken blieb und der ganze Saal beim Abschlusslied „Vielen Dank für die Blumen“ mit einstimmte. Lars und Andrea Struppmann, Lea, Tanja und Marie Heinen, Tobias, Simon und Danny Voth, Fynn, Benn und Steffen Gärtner, Martin Görner, Johanna, Charlotte, Julia und Oliver Wissig zeigten eindrucksvoll, was Familienfastnacht ist. Als „Deutscher Tourist“ räumte Marcus Zerbe mit den närrischen Vorurteilen über Deutsche im Ausland auf und hatte selbst eine gute Idee, wie man das marode Erbacher Pzett zum Luxushotel umgestalten könnte: „Hotelmanager wird unser Werner, das liegt doch nahe und nicht ferner. Frau Seidemann macht die Rezeption, Bernhard Heil den Concierge in neuer Funktion. Die Animation macht das Männerballett, die Märchenfeen dekorieren nett. Die Markusbläser, Familienschola und Kirchenchor sorgen für Musik und Wohlklang im Ohr. Pfarrer Nandkisore macht am Abend ne große Show, alle jubeln, klatschen, sind happy und froh“. Marcus Zerbe bekam den verdienten Riesenapplaus für seine geschliffenen Verse.
Als närrische Wintersportlerin kam Sabine Fladung in die Bütt, die das „Waldbaden“ für sich entdeckt hatte: „Doch eh ich mich zum Bad begebe, tut manche Frage sich erhebe: muss ich an so nem Badetage, auch en Badeanzug trage? Wird, selbst wenn man sicher friert, auch en Bikini toleriert? Und ich wusste auch noch nicht: Besteht do Badekappepflicht? Wie sollt ich dann im Wald do drinne, eigentlich die Badbütt finne?“.

Köstlichen Kokolores präsentierte auch die hitzegeplagte Gruppe „Niespimü“, die die Geschehnisse im letzten heißen Sommer in Erbach musikalisch wiedergaben: da gab es Wassersammler auf dem Friedhof, Eisberg-Lösungen für den ausgetrockneten Rhein oder Ölzeugträger, die auf Regen hoffen. Der ganze Saal sang die umgedichteten Lieder mit und Karin, Sabine, Wolfgang und Florian Müller, Peter und Mechthild Spindler und Harald und Regina Niebler sorgten vor der Pause mit dieser Nummer für Riesenstimmung.

Nach der Pause gab es eine besondere Überraschung: zum 50jährigen Jubiläum des seit Generationen beliebten katholischen Zeltlagers Erbach/Hattenheim präsentierte einen jugendliche Schar einen historischen Einblick in das jährliche Geschehen des zehntägigen Lagerlebens. Und der hatte es in sich, zum Beispiel als die einfache Kost von Frischkäse- und Wurstbroten mit bachgekühltem Pfefferminztee a la Bommerlunder nicht nur besungen, sondern auch noch zu „einem vegetarischen Traum von entrahmter Milch auf einer zarten Bauernschnitte und zartes Eifler-Bio-Rind-Carpaccio auf Dinkelkruste im Nägelerstyle“ wurde. Vor allem auch die Botschaft, das im Zeltlager jeder, egal welcher Religion, welchen Aussehens und welcher Sexualität in dieser Gemeinschaft willkommen ist, fand riesigen Beifall. „Alle Menschen haben den gleichen Wert und niemand sollte ausgeschlossen werden wegen seiner Gesinnung oder Herkunft. Und das nicht nur hier im Lager, sondern auf der ganzen Welt“, hielten die Zeltlagerfreunde Matthias, Johannes und Anna Ott, Wolfgang Müller, Yannick Nägler, Julian Frick, Patrick Kopainski, Patrick Blumensatt, Joana Heil, Lukas Fladung und Fatima Katzhoui fest.

Als eine echte Größe der Erbacher PZ-Fastnacht präsentierte sich zum zwölften Mal in Folge der „Nepomuk“, der zur Narrenzeit von seinem Sockel am Nepomuk-Platz steigt und das Erbacher Ortsgeschehen mit spitzer Feder und ganz viel Humor glossiert: der 27jährige Benedikt Müller landete damit auch in diesem Jahr einen Volltreffer, der beim Publikum Standing Ovations hervorrief: „Björn Höcke, kennt Ihr den, en Mann der AFD. Er hat die Bibel mol gelese, schreibt er in seinem Buch, doch war sie ihm kein Sege, nein vielmehr Fluch: Viel zu viel Wüste, sei in dieser Bibel beschriebe un zu wenig Wald, den wo mir Deutsche doch so liebe. Des schreibt der Höcke werklich, doch des muss uns nit störn, weil die Bibeltexte nun mal keinem Volk gehörn. Sondern mir sin eine Kirch für die eine, weite Welt, auch wenn em Simpel wie dem Höcke sowas nit gefällt“.
Als Sprecher der Erbacher närrischen Fastnachtsnachrichten bewies Jonathan Heil, der Politikwissenschaften studiert, zum zweiten Mal sein großes Talent als Büttenredner. In seinen närrischen Nachrichten rechnete auch er mit der großen und kleinen Politik in feinster Eulenspiegel-Manier ab und berichtete, dass Verkehrsminister Scheuer vorgeschlagen hat, Diesel-Fahrzeuge einfach umzubenennen, um der Fahrverbots-Krise zu entgehen: „Fahrzeuge mit Emissionshindergrund“. Zur SPD bemerkte er: „Mittlerweile hat Eierlikör mehr Prozente als die SPD – und auch mehr Eier“. Auch Jonathan Heil wurde für seine brillante Rede mit viel Beifall belohnt.
Als dann noch die Kisselbachstelzen als närrische Totengräber mit „No woman, no cry“ Witwen trösteten, war die närrische Chose perfekt auf den Punkt gebracht. Natürlich durften sie ohne den Erbacher Kisselbachhit, „Paula, du rieschst so schee nach Suseflaasch“ nicht gehen. Und so bewiesen die Erbacher und ihre Gäste gerne noch lange an diesem Wochenende, dass sie es verstehen, Erbacher Fastnacht in geselliger Gemeinsamkeit fröhlich zu feiern.

Ein Bericht von Sabine Fladung vom 02.03.2019.

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