Ehrenamtlicher Auftrag wurde zur Herzenssache

19.01.2017

Kerstin Wigger vom Technischen Hilfswerk Ortsverband Geisenheim half bei Auslandseinsätzen in Flüchtlingslagern in Jordanien und im Irak / Empfang beim Bundesinnenminister de Maiziere

Geisenheim. (sf) "Am Anfang war es nur ein ehrenamtlicher Auftrag, natürlich Ehrensache, aber am Ende ist es eine Herzensangelegenheit", sagt Kerstin Wigger vom Technischen Hilfswerk (THW) Ortsverband Geisenheim. Die 51jährige Mutter einer Tochter ist seit Mitte 1994 aktives Mitglied beim THW und hat schon bei mehreren Auslandsaufenthalten Menschen in Flüchtlingslagern vor Ort geholfen. Eindrücke und Begegnungen mit Menschen, die sie nie mehr im Leben vergessen wird und die ihr Leben auch verändert haben: "Diese Einsätze sind kein Zuckerschlecken, aber sie geben mir durch die Erlebnisse mit den Menschen und deren Dankbarkeit unheimlich viel zurück. Oft werde ich gefragt, ob ich stolz darauf bin. Nein, stolz bin ich nicht, aber ich freue mich, dass ich helfen kann und das ist für jeden Ehrenamtler schließlich Ehrensache. Ich schenke dem Ehrenamt einen Großteil meiner Zeit, um der Gesellschaft etwas zurückzugeben, und das THW gibt mir die Möglichkeit, humanitäre Hilfe im In- und Ausland zu leisten. Ich würde sagen eine Win-Win-Situation".

Ursprünglich kam Kerstin Wigger durch ihren Mann zum THW, der dort seit über vierzig Jahren tätig ist. In ihrer über zwanzig jährigen Tätigkeit hat sie verschiedene Funktionen durchlaufen und zahlreiche Lehrgänge und Ausbildungen absolviert. Zunächst engagierte sich Kerstin Wigger als Jugendbetreuerin beim THW: "Hier hat man eine wichtige Vorbildfunktion. Zuverlässigkeit und Verantwortungsbewusstsein stehen an erster Stelle. Gemeinsam mit Teamfähigkeit sind das die typischen Eigenschaften, die für THW-Helfer bei der Erfüllung ihrer Aufgaben unerlässlich sind". Doch schon damals hatte sie auch besonderen Spaß beim Bedienen technischer Geräte oder dem Einsatz von Großfahrzeugen und erwarb die Berechtigung für den "Bediener Ladekran" und den LKW-Führerschein. Lange Zeit war sie dann auch als Prüferin für die Grundausbildung und seit 2014 als Prüfungsleiterin bei der Grundausbildungsprüfung im THW tätig. Außerdem ist sie seit zehn Jahren Mitglied des Einsatznachsorgeteams des THW Länderverbandes Hessen/Rheinland-Pfalz/Saarland und gehört hier sogar zu den Gründungsmitgliedern. Dort ist Wigger als "PEER" für die Psychosoziale Notfallversorgung der Einsatzkräfte nach belastenden Einsätzen zuständig. "Zunächst umfasste unser Aufgabengebiet die Betreuung der Einsatzkräfte im Inland. Später kam auch die Betreuung der Auslandseinsatzkräfte nach deren Rückkehr dazu. 2013 betreute ich im Bereitstellungsraum Bad Hersfeld THW-Einsatzkräfte, die aus den sächsischen Elbehochwassergebieten zurückkehrten", erläutert sie. Dafür wurde sie auch mit dem Sächsischen Fluthelferorden 2013 ausgezeichnet.

Durch zahlreiche Fortbildungen wurde die ehrenamtliche Helferin auch in die Expertendatenbank für Auslandseinsätze aufgenommen und bekam kurz nach dem Einsatz beim Hochwasser - "sozusagen von der Flut in die Wüste" den ersten Einsatzauftrag nach Jordanien: "Ein unheimlich schönes Land, das ich vorher überhaupt nicht auf dem Schirm hatte".

Dort unterstützte Kerstin Wigger fünf Wochen lang das THW-Team als "Administrator Staffsupport" und Logistiker: "Das THW baute seinerzeit in Kooperation mit UNHCR und UNICEF nach der Zeltstadt in Zaatari ein weiteres Flüchtlingslager 20 Kilometer von Azraq und zwei Stunden nördlich von der jordanischen Hauptstadt Amman entfernt, auf. Auf einer Fläche von 14 Quadratkilometern entstand dort für rund 120000 Menschen mitten in der Wüste eine komplette neue Stadt, mit entsprechender Infrastruktur, Wasser- und Stromversorgung, sanitären Einrichtungen, Straßen, Schulen und einem Krankenhaus. Das THW-Team bestand aus 10 bis 15 Personen mit unterschiedlichen Qualifikationen und Aufgaben wie z.B. Fachleute im Bereich Bau oder Sanitär, und zusätzlichen lokalen Hilfskräften. Meine Aufgabe war es, diese Teams zu unterstützen, in dem ich mitverantwortlich dafür war, entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen". Sowohl administrative Aufgaben wie das Erstellen von ID-Karten oder die Koordination von lokalem Personal und auch logistische Aufgaben wie die Beschaffung von Materialen, die von Sicherungen für elektrische Installationen bis hin zur Computersoftware reichten, füllten Kerstin Wiggers Arbeitstage. "Die Herausforderung bestand aber vor allem auch darin, sich den örtlichen Gegebenheiten anzupassen", erinnert sie sich. Amman sei eine Stadt mit etwa drei Millionen Einwohnern und das Finden der entsprechenden Materialien sei nicht gerade einfach: "Denn dort ist nicht alles so "well organized" wie in den westlichen Ländern. Man muss bei 42 Grad im Sommer und Minusgraden im Winter nicht nur körperlich und mental fit sein, sondern sich auch flexibel auf die sehr unterschiedlichen Anforderungen einstellen können". Auch die interkulturelle Kompetenz sei ein wichtiges Thema: "Meine Einsatzzeit in Jordanien lag genau in der Zeit von Ramadan. Man muss in der Lage sein sich anzupassen und respektvoll mit den Menschen und deren Kultur bzw. Religion umzugehen. Nicht zu vergessen, dass alles nicht in unserer Muttersprache abgewickelt werden kann". Kerstin Wigger verständigte sich mit Hilfe lokaler Dolmetscher, die von Arabisch in Englisch übersetzten.

Nach dem ersten erfolgreichen Einsatz in Jordanien ging es dann rasant weiter für Kerstin Wigger. Die ehrenamtliche THW-Helferin bekam bei dem Ebola Einsatz 2014/2015 in Westafrika gleich drei Einsatzaufträge für die Unterstützung des Leitungs- und Koordinierungsstab der THW-Leitung in Bonn und unterstützte dort in der Funktion des S1 das Personalmanagement. Außerdem wurde sie in dieser Zeit im Bereich psychosoziale Notfallversorgung auch bei der Nachsorge der Einsatzkräfte, die aus den Einsatzgebieten Westafrika und Nepal zurückkehrten, eingesetzt.

Für ihre Verdienste um ihre Mitmenschen aus und in Extremsituationen erhielt Kerstin Wigger im September 2014 gemeinsam mit 130 weiteren Auslandseinsatzkräften des THWs eine persönliche Einladung zum Bundesinnenminister Thomas de Maiziere nach Berlin: "Er sprach uns seinen Dank für unser Engagement aus".

Nur ein Jahr später ging es in die Region Kurdistan im Irak: "45 Grad im Schatten herrschten dort, als ich diesen Einsatzauftrag für humanitäre Hilfe antrat. Und als ich nach fünf Wochen wieder ging, war gerade Beginn der Regenzeit mit immer noch 30 Grad. Das Klima ist dort im Sommer sehr heiß und im Winter sehr kalt durchaus mit viel Schnee. Die Landschaft ist unheimlich schön. Es gibt nicht nur Sand und Wüste sondern auch grüne Landstriche". Zentraler Einsatzpunkt für Kerstin Wigger war das nordirakische Erbil, die dortige Zitadelle gehört zum Weltkulturerbe. "Das ist rund 80 Kilometer, also nicht wirklich weit von Mosul entfernt, wo der IS aktiv war", erläutert Kerstin Wigger auch die Brisanz dieses Einsatzes. Die einzelnen Flüchtlingslager seien hier viel kleiner als in Jordanien : "500 Menschen bis maximal 8000 Menschen werden hier betreut, je nachdem, ob ehemalige Kasernen genutzt werden können oder Zeltstädte errichtet werden müssen. Einige Lager sind im Stadtgebiet andere bis zu vier Stunden außerhalb. Die Lager sind keine Zwischenlager sondern ständig bewohnt. Im Stadtgebiet sind die Sicherheitsbehörden und die Polizei sehr präsent. Außerhalb des Stadtgebietes finden immer wieder Kontrollen an sogenannten Checkpoints statt", schildert Kerstin Wigger die Situation im Nordirak. Kommunizieren mit lokalen Mitarbeitern oder auch den Flüchtlingen war wieder nur in der Landessprache mit Übersetzern ins Englische möglich: "Während im Nordirak mehr kurdisch gesprochen wird, ist im Rest des Iraks arabisch verbreitet. In meiner Einsatzzeit ging es vornehmlich um Aufbau, Wartung und Reparaturen. In der Funktion als Administrativ Officer war ich hauptsächlich für administrative Aufgaben wie die Koordination von lokalem Personal, Erstellen von ID-Karten, Beantragung von Aufenthaltsgenehmigungen, Unterstützung des Financial Officer zum Beispiel bei der Erstellung von Gehaltsabrechnungen für lokale Mitarbeiter verantwortlich. Eine weitere wichtige Aufgabe war auch die Verantwortung für die Durchführung, Überwachung und Einhaltung des Sicherheitsplans für das gesamte Team", erzählt sie.

Während ihrer Zeit in den Flüchtlingslagern hatte Kerstin Wigger sowohl mit irakischen Binnenvertriebenen als auch syrische Flüchtlingen Kontakt: "Alle waren trotz der schwierigen Situation ausgesprochen freundlich und aufgeschlossen. Die Dankbarkeit für die Hilfe, die sie durch uns erfahren war immer spürbar. Wir versuchten emotionale Distanz zu wahren, was aber gar nicht so einfach war. Die Flüchtlinge erzählten, was sie auf ihrer Flucht alles erlebt hatten und ließen uns somit an den schlimmsten Ereignissen in ihrem Leben teilhaben. Obwohl wir auf dauerndes Fotografieren oder Ausfragen aus Respektsgründen verzichteten, hatten einige Flüchtlinge uns Helfer immer wieder mal in ihre kleinen Bereiche eingeladen. Hier zeigten sie beeindruckend wie sie mit dem Wenigen was vorhanden war, versuchten eine "gemütliche" Atmosphäre auf engstem Raum für die Familien zu schaffen. Und in all den Gesprächen wurde immer wieder ganz deutlich, dass die meisten der Flüchtlinge wieder zurück in ihre Heimat wollen und sehr unter diesen schrecklichen Ereignissen leiden".

Auch Kerstin Wigger haben diese Einsätze verändert, so etwas bleibt nicht aus, wenn man hautnah so viel menschliches Leid miterlebt. Für ihr beispielhaftes Wirken wurde sie im Mai 2016 mit der Verleihung der Malteser international Einsatzmedaille Nepal zusammen mit zehn weiteren haupt- und ehrenamtlichen Helfern des THW geehrt. Außerdem gab es im September wieder eine persönliche Einladung des Bundesinnenministers Thomas de Maiziere nach Berlin: "Gemeinsam mit 50 weiteren Auslandseinsatzkräften und einigen Arbeitgebern habe ich am Empfang im Bundesinnenministerium teilgenommen. Er dankte für unser Engagement und Einsatzbereitschaft, nannte uns "seine ganz persönlichen Helden" und erklärte stolz zu sein, eine so einzigartige Hilfsorganisation wie das THW in Deutschland zu haben. Außerdem dankte der Minister den Arbeitgebern, die ihre Mitarbeiter für humanitäre Einsätze freistellen und damit einen sehr wichtigen Beitrag zum Gelingen leisten."

Das Technische Hilfswerk ist die Katastrophenschutzorganisation des Bundes und untersteht direkt dem Bundesinnenminister. In seiner Struktur ist es weltweit einzigartig: Eine Behörde, die zu 98 Prozent von ehrenamtlichen Helfern getragen wird. Das THW ist somit eine staatliche Hilfsorganisation und nicht wie die von Vereinen und Verbänden getragenen Hilfsorganisation Malteser oder DRK. Deshalb können THW Einsatzaufträge für das Ausland nur durch das Auswärtige Amt beauftragt und von der THW-Leitung ausgestellt werden. "Jede Einsatzkraft, die vom THW einen solchen Auftrag erhält, vertritt somit die Interessen der Bundesrepublik Deutschland über die Landesgrenzen hinaus. Deshalb werden auch besondere Anforderungen an unser Handeln und Auftreten gestellt", erläutert Kerstin Wigger.

In persönlichen Gesprächen habe der Bundesinnenminister sie nach ihren ganz individuellen Eindrücken und Erfahrungen gefragt. Kerstin Wigger selbst sagt, sie habe keine Angst bei ihren Auslandseinsätzen, aber doch Respekt: "Man muss immer hellwach und aufmerksam sein, seine Umgebung beobachten um im Falle eines Falles schnell reagieren zu können". Alle Auslandseinsatzkräfte werden vom THW in zahlreichen sehr anspruchsvollen Lehrgängen und Ausbildungen auch im Bereich Sicherheit auf diese Auslandseinsätze vorbereitet: "Die Sicherheit der Einsatzkräfte hat immer oberste Priorität. Hier machen auch die hauptamtlichen Mitarbeiter des Auslandsreferates in der THW-Leitung bei der Vorbereitung und Durchführung dieser Einsätze einen hervorragenden Job".

Und ganz wichtig sei bei diesen humanitären Hilfseinsätzen in Krisengebieten natürlich der uneingeschränkte Familienrückhalt, wirft die Mutter einer 18jährigen Tochter ein. Die Belastung, die auf den Angehörigen liege, sei nicht zu unterschätzen: "Oft ist die Berichterstattung in den Medien schneller und die Familien warten auf erlösende Nachricht ihrer Angehörigen aus den Einsatzgebieten".

Im THW könne man als Einzelkämpfer weder im Inland noch im Ausland etwas bewegen, gibt die erfahrene Helferin ebenfalls zu bedenken: "Die an uns gestellten Anforderungen können nur dann erfolgreich gelöst werden, wenn Teamfähigkeit, Loyalität und Kameradschaft keine bloßen Lippenbekenntnisse sind, sondern dauerhaft unser Handeln bestimmen. Deshalb dürfen wir die Kameraden im Inland und deren Leistungen nicht vergessen. Sie halten uns den Rücken frei und leisten damit einen sehr wichtigen Beitrag zur internationalen humanitären Hilfe".

"Auf dem Hinflug in ein Einsatzgebiet werden meine Gedanken immer davon bestimmt, mir zu überlegen was mich erwarten könnte. Ich bereite mich mental auf die vor mir liegenden Wochen und Aufgaben vor. Es ist wichtig, sich darauf einzustellen um flexibel auf ungewisse Situationen reagieren zu können. Denn das habe ich gelernt: nichts verändert sich schneller als die Lage". Mein "normales" Leben tritt dann ganz in den Hintergrund, ich versuche es für kurze Zeit quasi auszublenden. Auf dem Heimflug beschäftigt mich immer mein Koffer voller Eindrücke und die Gewissheit, dass es dauert, bis ich das alles eingeordnet und verarbeitet habe", erzählt die Helferin.

Für sie persönlich sei jeder humanitäre Hilfseinsatz eine Bereicherung. Man arbeitet in einem Team aus THW-Auslands-Experten, die aus dem gesamten Bundesgebiet kommen und für jeden Einsatz speziell ausgewählt und zusammengestellt werden: "Obwohl man sich vielleicht vorher noch nie gesehen hat, ist Vertrauen, Loyalität und Kameradschaft im Team absolut unverzichtbar. Man muss sich hundertprozentig aufeinander verlassen können. Davon hängt für jeden einzelnen sehr viel ab". Und dann sei da noch die Veränderung der Einstellung zum Leben durch die Eindrücke, Erlebnisse und Erfahrungen: "Die Perspektive wird eine andere. Man setzt Prioritäten anders als vorher, ist dankbar und demütig".

Ein Bericht von Sabine Fladung vom 19.01.2017.

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